Saisonales Stimmungstief: Was sind Winterdepressionen?

Wenn kalte Temperaturen und kurze Tage für mehr als nur einen Winterblues sorgen

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Aufstehen fällt am Morgen zusehends schwieriger, vielleicht auch in den Schlaf zu finden. Indes sind die Tage trüb, kalt und so kurz, dass Sie oftmals in der Immer-Noch-Nacht nicht nur auf Arbeit gehen, sondern auch erst nach Sonnenuntergang ihren Feierabend haben – sofern die Sonne überhaupt durch eine dichte Wolkendecke scheint.

Die langen, kalten und dunklen mitteleuropäischen Winter kommen auch im Kopf an: vom seichten Herbstblues bis hin zu einer ausgewachsenen Winterdepression. Die unterscheidet sich in wesentlichen Zügen von einer klinischen Depression, lastet in den Wintermonaten aber nicht unwesentlich weniger auf Betroffenen. Eine Differenzierung zwischen klassischer und Winterdepression ist wichtig – insbesondere langfristig betrachtet.

Definition und Abgrenzung der Winterdepression

Laut einer Forsa-Umfrage fallen im Winter 24 % der Männer und 36 % der Frauen in ein Stimmungstief. Dem entgegen fühlen sich nur 11 % der Männer und 12 % der Frauen laut eigener Aussage im Winter “besonders wohl”. Damit empfinden mehr als ein Viertel aller Deutschen den Winter als mentale Belastung.

Der Begriff “Winterdepression” ist keine medizinische Neuheit. Geprägt und erstmals definiert hat sie Norman E. Rosenthal und Kollegen in einer klinischen Studie, die die Auswirkung von saisonalen Effekten und insbesondere Lichttherapie auf den Gemütszustand prüfte.

Rosenthal und sein Team konzentrierten sich in ihrer Forschung speziell auf Patienten mit bipolarer Störung, mittlerweile ist der Begriff in der Forschung auch abseits bereits existenter psychologischer Störungen angekommen und untersucht.

Die Winterdepression, die in Deutschland der rezidivierenden depressiven Störung untergeordnet wird, gehört zu den “saisonal-affektiven Störungen”. Sie tritt also in Verbindung mit den Jahreszeiten auf, in diesem Fall stellt sie sich langsam über den Herbst ein und erreicht meist in den Wintermonaten ihren Höhepunkt, dagegen flacht sie im Frühling und Sommer ab oder verschwindet gänzlich – bevor sie in der nächsten kalten Jahreszeit erneut aufkommt. Daher die Klassifizierung als “rezidivierende” (wiederkehrende) Störung.

Charakteristisch für die Winterdepression sind der klassischen Depression ähnliche Symptome, welche je nach Betroffenen durchaus stärker schwanken und sich ebenso in ihrer Ausprägung unterscheiden. Mediziner differenzieren zwischen zwei Varianten. Die saisonale Depression SAD (kurz für “seasonal affective disorder”) ist eine Krankheit mit entsprechendem Ausmaß.

Die subsyndromale SAD (s-SAD) ist der Fachbegriff für den “Winterblues”, der entgegen der SAD zunächst nicht behandlungsdürftig ist. Die “Stiftung Deutsche Depressionshilfe” gibt dazu außerdem an: “Saison abhängige Depressionen sind […] meist weniger schwer ausgeprägt und weniger häufig […] bei einigen (Betroffen) erhöht sich saisonal die Anfälligkeit für depressive Erkrankungen”.

Diagnostik bei vermuteter Winterdepression

Das US-amerikanische “National Institute of Mental Health” setzt zur diagnostischen Erfassung folgende Kriterien voraus:

  • Betroffene müssen Symptome einer klassischen Depression vorweisen
  • ergänzend können auch spezifische Symptome der saisonalen depressiven Störung auftreten
  • die depressive Störung muss in spezifischen Monaten (beispielsweise Wintermonaten) für mindestens zwei aufeinanderfolgende Jahre auftreten
  • die saisonale depressive Störung muss häufiger als vergleichbare, klassische depressive Störungen auftreten, um als solche klassifiziert zu werden
  • zum Wechsel der Jahreszeiten (beispielsweise Frühlingsbeginn) muss sich die saisonale depressive Störung langsam legen

Auch mit Hinblick auf den nächsten Abschnitt zur typischen Symptomatik ist eine Abgrenzung zum wesentlich milderen “Herbst- oder Winterblues” erforderlich.

Prof. Dr. med. Thomas Hillemacher, Chefarzt der Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum Nürnberg gibt dazu an, dass rund 15 % der Bevölkerung an Herbst- oder Winterblues leiden. Der milden Symptomatik dessen, meist durch Antriebsmangel, Müdig- und Lustlosigkeit gekennzeichnet, lässt sich oftmals schon durch frische Luft und mehr Aktivität im Alltag entgegentreten – was bei einer ausgewachsenen Winterdepression oder klassischen depressiven Störung nicht zutrifft.

Symptomatik der Winterdepression

Klassisch treten die Symptome einer Winterdepression langsam in den Herbstmonaten ein und spitzen sich in den Wintermonaten zu. Spätestens im fortgeschrittenen Frühling, wenn die Tage länger, wärmer und von mehr Sonnenschein gezeichnet sind, sind sie wieder rückläufig. Typischerweise kommen über lange Winter mehr Symptome hinzu, während sich vorhandene Symptome intensivieren können.

Die klassischen Symptome einer saisonalen Depression sind:

  • depressives, launisches, abgeschlagenes Gefühl den Großteil des Tages, nahezu oder jeden Tag
  • vermindertes Interesse an Aktivitäten und Hobbys
  • Schlafprobleme
  • veränderter Appetit
  • verminderte Konzentrationsfähigkeit
  • Gefühl von Schuld, Hoffnungslosigkeit und persönlicher Wertlosigkeit
  • Suizidgedanken oder verstärktes Denken an den eigenen Tod

Diese Symptomatik tritt in Verbindung und ergänzend zu klassischen Symptomen einer Winterdepression auf. Für diese typisch ist die Angewohnheit, länger zu schlafen und schwerer aus dem Bett zu kommen ebenso wie eine Gewichtszunahme. Letztere wird ausgelöst durch veränderte Essgewohnheiten, insbesondere kohlenhydratreichhaltige Nahrungsmittel werden bei einer Winterdepression vermehrt konsumiert. Außerdem tritt häufig das Gefühl auf, die eigenen “Energie-Akkus” seien leer und man fühlt sich erschöpft.

Ursachen der Winterdepression

Bis heute ist die Ursache für Winterdepressionen nicht umfassend geklärt. Prof. Dr. med. Thomas Hillemacher, Chefarzt im Klinikum Nürnberg, gibt dazu an, dass die Winterdepression häufig aus einer bereits vorliegenden klassischen Depression entsteht. Demnach sei nur jede zehnte Winterdepression tatsächlich isoliert solch eine, der Großteil sind bereits vorliegende depressive Störungen, die sich im Winter weiter verstärken. Zuletzt spielten weitere externe Faktoren ein.

Sondereffekte durch Covid-19 und Lockdowns

Im Zuge der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Lockdowns in den Jahren 2019-2021 (vorläufig) traten vermehrt depressive Störungen auf. Diese können teilweise nicht einwandfrei auf Winterdepressionen zurückgeführt werden, da insbesondere die staatlich verhängten Lockdowns, die in den Wintermonaten aufgetreten sind, nachweisbar negative psychologische Effekte haben.

Die Zahl der Essstörungen und diagnostizierten Depressionen nahm in der Lockdown-Zeit April bis Juni 2020 maßgeblich zu, so eine Studie der Privaten Fachhochschule Göttingen.

Wirkung von Licht und Sonnenschein

Die Wissenschaft zieht eine Reihe von Ursachen für Winterdepressionen in Erwägung, darunter eine störhafte Veränderung des biologischen Tagesrhythmus. Die veränderte Balance zwischen dem Serotonin- und Melatonin-Stoffwechsel spielt hierbei ebenso ein.

Die veränderten Lichtbedingungen, insbesondere reduzierter oder gar kein Sonnenschein, gelten zum aktuellen Zeitpunkt als Hauptursache. Aus diesen leitet sich zugleich die spezifische Behandlung von konkreten saisonalen depressiven Störungen ab.

Eine Studie in Dänemark widmete sich den unterschiedlichen meteorologischen Veränderungen mit Hinblick auf das Auftreten einer Winterdepression. Die Forscher untersuchten hierfür über drei Jahre insgesamt 126 Patienten mit (vermeintlicher) Winterdepression. Die erhobenen meteorologischen Daten wurden mit der Krankheitsentwicklung in den Patienten abgeglichen.

Dabei kam heraus, dass keinerlei Zusammenhang zwischen der Bewölkung oder generell dem Wetter (Regen, starker Wind) bestand. Dafür aber wurden Tagestemperaturen, Sonnenscheinstunden und UV-Intensität als korrelierende Aspekte identifiziert. Fehlte es den Patienten an Sonnenschein und war es kalt, verschlimmerten sich die Depressionen (gemessen am Beck Depression Inventory Standard BDI).

Mögliche Risikofaktoren

Einige Menschen sind empfänglicher für eine Winterdepression als andere. Im Zuge dessen sind erneut die obigen Hinweise des Chefarztes vom Klinikum Nürnberg zu berücksichtigen: Häufig sind vermeintliche Winterdepressionen nur klassische Depressionen, die sich weiter intensivieren.

Als typische Risikofaktoren gelten:

  • Genetik/Familienhistorie: Hang zu depressiven Störungen oder psychologischen Störungen ist teilweise vererbbar
  • bereits andere vorliegende psychologische Störungen oder mentale Belastungen
  • Entfernung vom Äquator, da sich dadurch die Anzahl der Sonnenstunden reduziert
  • Inaktivität und/oder gestörter Bio-/Schlafrhythmus

Behandlungsmöglichkeiten bei einer saisonalen depressiven Störung

Sollten Sie bei sich eine Winterdepression vermuten, mitunter bereits über mehrere Herbst-/Wintermonate oder anderweitig depressiv sein, wenden Sie sich an Ihren Hausarzt. In der Regel lässt sich eine depressive Störung gut behandeln und kann zugleich das Risiko für eine chronische Depression reduzieren. Wenden Sie sich unbedingt an Ihren Arzt, den Notdienst oder ergänzend eine Hilfshotline, wenn Sie suizidale Gedanken haben.

Zur Behandlung stehen eine Reihe von Möglichkeiten offen, es bestehen teilweise deutliche Überschneidungen zur Behandlung von einer depressiven Störung/Depression:

  • Antidepressiva, auch SSRIs
  • Gesprächstherapie
  • Vitamin D
  • Lichttherapie

Gesprächstherapie kommt bei einer exklusiv als Winterdepression auftretenden depressiven Störung nur sehr selten zum Einsatz. Ebenso werden Antidepressiva dahingehend nicht zwangsläufig verschrieben.

Eine Indikation liegt vor, wenn die vermeintliche Winterdepression eine klassische depressive Störung ist, die sich im Winter verstärkt. Sowohl die Medikamente als auch eine psychologische Beratung behandeln dann die klassische depressive Störung, wodurch automatisch auch die Winterdepression ausbleibt, sofern ein Behandlungserfolg vorliegt.

Speziell bei einer Winterdepression hat sich Lichttherapie als sehr erfolgversprechend erwiesen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse dahingehend sind vielfältig. Das Fachmagazin der Harvard Medical School weist auf Behandlungserfolge mit Lichttherapie-Lampen mit einer Lichtstärke von 30.000 Lux aufwärts hin.

Eine weitere Studie konnte Behandlungserfolge bei Vorliegen einer leichten Winterdepression erzielen. Nach der Tageslichttherapie entwickelte keiner der Patienten eine moderate oder schwere Winterdepression.

Dem entgegen stehen unklare Studienergebnisse, wie beispielsweise bei dieser Studie. Hier wurden zwar Behandlungserfolge mit Lichttherapie erzielt, diese aber auch in der Placebo-Gruppe. Die Studie hinterfragt daher, welche Rolle der Placebo-Effekt bei der Lichttherapie spielt.

Einig scheint sich die Wissenschaft in der notwendigen Flexibilität der Behandlung einer spezifischen Winterdepression. Es gibt keinen verlässlichen Standard, wie viele Behandlungen über welche Dauer erfolgen müssen. Daher ist aus ärztlicher Sicht notwendig, die Behandlung fortlaufend an erzielte (oder ausbleibende) Fortschritte anzupassen. Ebenfalls empfiehlt sich stets sportliche Aktivität, ganz besonders in den Wintermonaten.

Korrektes Lichtspektrum

Des Weiteren spielt die Lichtzusammensetzung vermutlich eine große Rolle. Speziell kurze oder mittlere Lichtwellenlängen lieferten gute Ergebnisse, UV- und Rotlicht zeichneten sich hingegen eher durch Ineffektivität aus. UV-Licht, beispielsweise im Solarium, wäre daher ebenso wenig eine Hilfe wie Infrarotlicht. Untersucht hat das eine Studie im Jahr 1997.

Hilfe holen, wenn der Winter in Depressionen mündet

Die fließenden Übergänge zwischen Winterblues, Winterdepression und klassischer Depression mit Intensivierung in der kalten Jahreszeit, machen eine Selbstdiagnostik nahezu unmöglich. Umso wichtiger ist aus Sicht der Betroffenen, sich frühzeitig an medizinisch-fachliche Hilfe zu wenden.

An dieser Stelle sei noch einmal gesagt: Auch unser Geist/Gehirn kann erkranken, nicht weniger als der Körper. Für eine (Winter-)Depression existieren vielversprechende Behandlungen, die Betroffene möglichst zeitnah wahrnehmen sollten. Das gilt insbesondere, wenn sich aufgrund oder unterstützend durch die Winterdepression konkrete Begleiterscheinungen einstellen, zum Beispiel eine verminderte Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz oder ein gesteigerter Alkoholkonsum.

Sowohl eine ärztlich abgeklärte Vitamin-D-Supplementation (mit pharmazeutisch produziertem Vitamin-D) als auch die Lichttherapie können bei selektiven Winterdepressionen Verbesserungen erzielen – und so auch den kalten, deutschen Winter bald viel erträglicher werden lassen.

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